Wenn ich die Umgehungsstraße meines Wohnorts herauffahre, staune ich immer wieder, wie gefährlich nach vorn geneigt mir die Dorfkirche vorkommt. Sie müsste eigentlich jeden Augenblick umfallen. In Wirklichkeit steht sie sehr gerade und lotrecht, nur ich fahre bergauf. Mein inneres Messsystem aber möchte mir immer wieder einreden, ich befände mich auf der Waagerechten, und nicht etwa das Kirchengebäude.
Im vorliegenden Fall ist das nicht weiter schlimm und schnell zu korrigieren. Ich brauche nur zu der Kirche hinzufahren und den Sachverhalt zu klären. Tragisch aber wird die Sache, wenn ich diese angeborene Messlatte auf das Verhalten anderer Menschen anwende und mein eigenes Verhalten für unangreifbar und richtig ansehe. Dann schneiden andere Menschen oft völlig zu Unrecht sehr schnell sehr schlecht ab. Wie viel Unrecht begeht man dabei! Wie viel Vertrauen anderer zu mir und wie viel eigenes Vertrauen in andere Menschen geht dabei verloren, und wie viel Stolz baut sich da im eigenen Herzen auf, und wie unnötig wird solch ein Schaden angerichtet!
Unser Tagesvers ermahnt uns, wir sollten das Beurteilen anderer Menschen ganz und gar sein lassen, weil zur richtigen Beurteilung noch nicht die rechte Zeit gekommen ist. Er deutet aber ebenso klar an, dass einmal eine Zeit kommt, in der alles im richtigen Licht erscheinen wird. Dann wird jede Tat, jedes Versäumnis und jedes Handlungsmotiv ein gerechtes Urteil finden. Alle werden dann nach ihren Werken von Jesus Christus beurteilt, der doch gekommen war, um unsere Schuld auf sich zu nehmen, damit sie vergeben werden kann. Nur die gehen dann frei aus, die heute schon diese göttliche Vergebung in Anspruch genommen haben.
Hermann Grabe
- Was könnte klüger sein, als das Beurteilen Gott zu überlassen?
- Was für den einen eine Riesenanstrengung ist, schafft ein anderer »mit links«.
- 2. Samuel 16,1-4; 19,25-31
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