Man schreibt das Jahr 1632. In Deutschland tobt der 30-jährige Krieg. Auch das Städtchen Dinkelsbühl in Franken bleibt davon nicht verschont. Vor den Toren stehen schwedische Truppen, bereit zum Sturm auf die Stadt. Der General macht den Ratsherren klar: Entweder wird die Stadt bedingungslos übergeben oder sie geht in Flammen auf. Nur vom Himmel steigende Engel könnten sonst die Stadt noch retten.
Davon hört die »Kinderlore« (die Tochter des Turmwächters) und beschließt, mit mehreren Kindern dem Feind singend entgegen zu ziehen. Mittlerweile fordern auch die Bürger der Stadt die Kapitulation, und endlich gibt der Rat nach. Es läuten die Glocken, das Stadttor wird geöffnet und der Bürgermeister überreicht dem schwedischen General den Schlüssel des Tores. Plötzlich nimmt dieser den Gesang der heranziehenden Kinder wahr. Die Kinderlore kniet vor dem General nieder und fleht um Gnade und Verschonung. Das berührt diesen, da er kurz zuvor seinen Sohn verloren hat und darüber noch in Trauer ist. Die schwedischen Truppen verschonen daraufhin die Stadt.
Diese Legende, nach der heute noch jährlich die sog. »Kinderzeche« in Dinkelsbühl als Festspiel aufgeführt wird, macht deutlich, was Gnade voraussetzt: bedingungslose Kapitulation und Auslieferung, verbunden mit der inständigen Bitte um Verschonung. Im Fall Dinkelsbühl kam hinzu, dass durch die Erinnerung an den Verlust des eigenen Sohnes das Herz dessen berührt wurde, der allein Gnade gewähren konnte.
Nur so kann man auch als verlorener Sünder Gottes Gnade erfahren: Indem man bedingungslos vor ihm kapituliert und ihn an seinen Sohn »erinnert«, der am Kreuz für unsere Sünden starb und dadurch »freies Geleit« erwirkt hat für alle, die sein Versöhnungswerk in Anspruch nehmen.
Herbert Laupichler